Saturday, October 29, 2005

MONODRAMA, Oxygen, Teil 1


Bild I

Die Aufführungsrechte für Oxygen besitzt der Drei Masken Verlag, München

OXYGEN von Volker Lüdecke

Prometheus

Ein Berggipfel mit Gipfelkreuz. Kornbichler in Bergsteigerausrüstung klettert die letzten Meter hinauf, schaut in die Ferne, dreht sich mehrmals im Kreis.


Kornbichler: Endlich! Unendlich. Hier und nur so kann sich Gott offenbaren. Welch einmalige Erscheinung einer Ferne. Aus Ländern Landschaft. Europa! Den Vögeln da unten spuck´ ich aufs Gefieder.

Er spricht in ein Diktiergerät.

Verehrte Teilnehmer und Teilnehmerinnen! Überlegt, spricht Silbe für Silbe. Teil-nehmer-innen. Wessen Teil hätten sie denn gern? Gross oder klein, dick oder dünn? So nicht. Es gibt Wörter, über die stolpert man und bricht sich das Genick. Ethnische Säuberungen. Teilnehmerinnen.

Er schaltet das Diktiergerät wieder aus.

Ja der Anfang, bis man mal am Steigen ist, fällt schwer. Teilhaber vielleicht? Für die männlichen Anwesenden, sofern sie von den Teilnehmerinnen nicht kastriert worden sind. Eine misslungene Anrede, und ich bringe den Rest meiner Europarede nicht mehr heraus. Luft, Luft, Luft!

Er geht auf dem Berggipfel im Kreis.

Frankreich, Italien, Schweiz. Der weite Länderkranz, mit bloßem Auge! Und das da hinten mag vielleicht Deutschland sein, und Österreich da drüben. Oder ist das jetzt Slowenien? Jetzt gleich reiße mich der Herrgott in den Himmel. Das ist schön. Und der Teufel flüstere mir eine Rede ins Ohr, die auch sture Schweizer überzeugt: Kapitalanlagen in Europa!

Schaltet das Diktiergerät wieder ein.

Liebe Anleger und Anlegerinnen! Stop! So nicht.

Er schaltet wütend das Diktiergerät aus.

Mahlzeit! Bin ich ein Landungssteg im Zürisee? Die sollen heraus aus ihrer Talenge, große Weltökonomie!

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Liebe Tagungsbesucher und Besucherinnen!

Wir haben Sie zu unserer Tagung eingeladen, damit Sie mit uns gemeinsam einen Gipfel besteigen. Stop! So nicht.

Er schaltet das Diktiergerät aus.

Tagung ist entsetzlich. Tagung macht sofort müde. Ein Happening muss her, Karneval, Gewinne in der Tombola. Ein Fest.

Er sinnt nach, dann schaltet er das Diktiergerät ein.

Liebe Börsianer und Börsianerinnen!

Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Ihnen die Vorteile unserer Anlagestrategie vor Augen zu führen, die ich mit eigenen Augen ... Pause! Mahlzeit! Liebe Indianer und Indianerinnen, nehmt das Leben nicht so schwer!

Er schaltet das Diktiergerät aus, setzt sich auf einen Felsen.

Hier umweht mich Gottes Odem. Die Sprache des Menschen wird zur armseligen Stümperin. Ja, meine Augen kennen nur die Grenzen ihrer Schärfe. Europa! Unser Bundesstaat. Unsinn, Staatenbund. Nein, Staatenverbund. Verfluchte Bundessilbe, wieviel magst du gekostet haben? Wie soll ich denen Europa beibringen?

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Liebe Europäerinnen und Europäer!

Durch einfaches und bescheidenes Leben auf unserer Almhütte sind Sie nun von Ihrer Raffgier geheilt. In Zukunft können Sie ein von Überfluß befreites Leben führen. Ihr Besitz wurde vertragsgemäß eingezogen. Wir garantieren, dass ihr Aufkommen zum Schutz der Hochgebirge verwendet werden wird. Die Populationen der Gemsen und renaturierten Steinböcke danken Ihnen herzlich für Ihr Vertrauen. Wir beglückwünsche Sie zu Ihrer errungenen Mittellosigkeit. Kein Anlageberater wird Sie fortan belästigen. Lebt Wohl! Ciao! Arrividerci! A biento! Hasta la vista, baby!

Er schaltet das Diktiergerät aus.

Mit fünfundvierzig höre ich auf. Europa bietet noch die Möglichkeit für schnelles Geld. Die Maschine wird neu montiert.
Ein warmer Wind treibt den Berg hinauf. Die vereinigten Länder, eine rosige Zukunft.

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Liebe, verehrte, geschätzte Aufsteiger,

im Morgengrauen schritt ich zur Alleinbegehung eines europäischen Gipfels. Ich bin bekannt für mein Tempo auf gemischtem Terrain. Mein Körper verhält sich wie eine Klettermaschine, die sich unerbittlich an jedem Halt festkrallt. Diese Leistung hat etwas Übermenschliches. Ich habe auch zuerst geflucht und dann die ersten unbeholfenen Schritte gemacht. Und wenn Sie sich dies vor Augen führen, wird Ihnen bewußt, dass wir alle das gleiche tolle Spiel spielen. Aber tief in unserem Herzen wissen wir, dass wir im Grunde genommen völlig normal sind. Kein Firlefanz, kein Brimborium, kein Mist. Der Berg muss an der richtigen Stelle angegriffen werden. Wer sich in unübersichtlichem Gelände verirrt, oder die falsche Ausrüstung trägt, ist verloren. Wir haben die Erfahrung, Ihr Kapital sicher über den Grat in die Höhe zu geleiten. Sie dürfen profitieren. So. Ja. Stop!

Er schaltet das Diktiergerät aus.

Mahlzeit! Das war beinahe ein Bohrhaken. Klassische Erstbegehung in möglichst kurzer Zeit. Geringer Hakenaufwand. Himmel, ich will die Wolken weg blasen, damit die Wirtschaft floriert. Luft!

Er steht auf und stolpert, fällt hin. Bleibt einen Augenblick benommen liegen, dann beginnt er liegend immer schneller zu reden.

Europa ist eine Seele, ein geistiges Prinzip. Nationen sind Vergangenheit, die Gegenwart sind wir. Besitz, ein reiches Erbe an Erinnerungen, der gemeinsame Wunsch, Geld zu verdienen. Unser Unternehmen ist eine Solidargemeinschaft, gemeinsame Opfer, die wir gebraucht haben, um uns weitere Opfer zu ersparen. Das setzt eine gemeinsame Vergangenheit voraus, um zu der Übereinkunft zu gelangen, Schluss, wir wollen die gemeinsame Erfolgsgeschichte fortsetzen. Scheiße! Scheiße! Ich habe es nicht aufgezeichnet!

Er steht auf, drückt auf Knöpfe an seinem Diktiergerät, setzt sich auf einen Felsen, blickt starr und angespannt in die Ferne, dann drückt er auf Start.

Europa ist ein Prinzip. Keine Rasse, keine Glaubensgemeinschaft, sondern eine Seele. Wir glauben daran, weil wir eine Gemeinschaft sind, die Opfer gebracht hat. Mehrere Dinge, die in Wahrheit eins sind, machen die Gegenwart aus: Besitz. Wir brauchen ein reiches Erbe an Erinnerungen, um uns zu vergegenwärtigen, dass wir im Einvernehmen sind. Unser Wunsch ist eine große Solidargemeinschaft, getragen von einem Gefühl, das wir brauchen. Wir wollen den Fortschritt fortsetzen. Und so weiter. Stop!

Er schaltet das Diktiergerät aus und macht ein Yoga Sonnengebet. Danach setzt er sich wieder auf den Felsen und starrt minutenlang in die Ferne.

Das rauscht beinahe so heraus, und jetzt weiss ich schon nicht mehr, was ich eben gesagt habe. Man wird immer abhängiger von diesen kleinen Maschinchen. So soll es wohl sein. In dieser Stille möchte ich vor mir in alle Einzelheiten zerfallen. Welche Höllenkräfte haben diesen Ausblick hochgefaltet? Jesus Maria! Da spricht der Christ aus mir. Möchte damals nicht Seismograph gewesen sein.

Er rutscht von dem Felsen herab. Er macht Pause, Brotzeit. Dann schaltet er das Diktiergerät ein.

Hochgeschätzte Geographen,

die erweiterte Richterskala! Auch wenn unsere Zeitreise uns voranführt, wollen wir unseren Gefühlen freien Lauf lassen. Verschwendete Energie, aber was soll´s. Unsere Meinung macht aus allem alles. Darin liegt das Geheimnis der Progression. Dafür haben wir gründlich recherchiert. Meine Damen und Herren, wir treten in einen gewaltigen Konsensraum. So. Ja. Stop!

Er schaltet das Diktiergerät wieder aus, überprüft seine Bergsteigerausrüstung.

Die Emphase entscheidet, nicht der Inhalt. Nur die Vermehrung von Besitz vermittelt Sicherheit. Man muss ständig auf Überfälle gefaßt sein. Jeder neue Trend erzeugt Ängste. Triumphieren ist das einzige Erlebnis, das uns Erleichterung verschafft. Wir brauchen diesen Kick. Luft! Die Luft scheint mir hier oben auch nicht besser als im Tal. Stickoxide allerorten. Der Schornstein muss rauchen, nur qualmen darf er nicht.

Er füllt sich aus einer kleinen Flasche einen Schnaps in einen Becher, räuspert sich laut, macht einige hüpfende Bewegungen und setzt sich abrupt und benommen auf den Boden.

Holla, der Trunk macht in der Höhe doppelt Eindruck. Das brennt. Ja, ja, ja, wenn mal ein eisiger Wind weht, bist du mein Retter in Bergnot.
Wen ich gestern wiedergetroffen habe. Wenn ich mir heute überlege, was gestern alles passiert ist. Nach so einem Tag muss man in den Berg.
Mehr kann eigentlich gar nicht mehr passieren.

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Wenn bei einem nichts passiert. Herrschaften, das ist eine zermürbende Perspektive. Und wenn man sie erzählt. Das Essen beim Italiener war miserabel, Mahlzeit! Das ist nicht komisch, das ist lächerlich. Wenn bei einem nichts passiert. Meine Damen. So. Ja. Stop! Pause.

Er schaltet das Diktiergerät aus, blickt geradeaus auf einen Punkt am Horizont. Dann schaltet er das Diktiergerät wieder ein.

Man muss zusehen, dass etwas passiert. Das ist anstrengend. Wenn einer, bei dem nichts passiert, etwas passieren lassen will. Da bieten sich viele Möglichkeiten. So. Ja. Stop!

Er schaltet das Diktiergerät aus, kichert in sich hinein. Dann schaltet er es wieder ein.

Einen traf ich gestern. Eine Karriere. Erzählte, dass in seinem Leben etwas passiert. Karies. Da darf man nicht lachen. Der hatte sich ausdauernd dagegen gewehrt, dass bei ihm nichts passiert. Kolossal! Ist mir schlecht.

Er schaltet das Diktiergerät aus, um es gleich wieder einzuschalten.

Obwohl er gern noch weiter ausgeholt hätte. Verehrte Anwesende! Die letzten Überseeurlaubsgeschichten. Vielleicht werden alle künftigen Geschichten so aussehen. Wenn Sie der Person auf Ihrem Passfoto gleichen, haben Sie diesen Trip bitter nötig. Unser Unternehmen plant jeden Schritt in Ruhe und mit großer Voraussicht. Überstürzen Sie Ihre Entscheidung nicht! Unter bemühter Aktivität erkennt man deutlich den Stillstand. Ja. So! Stopp!

Er schaltet das Diktiergerät aus, liegt einen Moment erschöpft auf dem Rücken.

Irgendwann vielleicht, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Im Büro fällt mir nichts mehr ein. Man muss sich in extreme Situationen begeben. Wir haben jetzt ein Europa-Konzept. Das halte ich für sinnvoll. Es bedeutet ja nicht, dass es einen einheitlichen europäischen Geschmack geben wird. Ich kann nicht jedesmal auf einen Berg klettern. Das Schlagen der Türen macht mich wahnsinnig. Aus meiner Sicht müssen wir kein globaler Spieler sein, Global Player! um zu überleben. Ich kann manche Stimmen von Kollegen nicht länger ertragen. Die müssen zum Logopäden mit ihren Ansichten, einen neuen Kehlkopf! Sonst springe ich einmal einem an den Hals und drücke zu!

Er setzt sich auf.

Ich schaffe es nicht. Kann sie nicht überzeugen. Verpackung? Nein Design! Das Ding muss in die Zukunft weisen. Und darf trotzdem die vertrauten Linien der Tradition nicht vermissen lassen. Das unbekannte Ungeheuer, das in die Tiefe der Geschichte reicht. Die Klientel ist genauso entwurzelt, spielt mit Kapital.
Das ist mein Ansatz, mein Profil, meine Rede. Ein beinahe grenzenloser Typus Mensch ist diese Sorte Europäer. Ein Fischschwarm. Heuschrecken! Den der Hunger gern auch mal in andere Gewässer treibt.

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Verehrte Investoren!

Der biedere Mann kauft Immobilien. Die versichert er teuer gegen Krisen. Der biedere Investor denkt immer an die Krise. Sein Leben kreist nicht um Gewinn, sondern um Verlust. Dafür zahlt er Versicherungen. Und davon möchten wir uns mit Ihnen gemeinsam distanzieren. Unser Schutz gegen Krisen heißt traditionell Flexibilität und schnelle Information. Meine Damen und Herren, mit uns müssen sie sich nicht in Betonfundamente gießen. Warten Sie ohne große Belastung unsere projektierte Wertschöpfung ab. Der Markt ist immer in Bewegung, und mit uns sind Sie beweglich. Ihre Zukunft mit uns! Mit uns haben Sie Zukunft. So. Ja. Stopp! Erledigt.

Er schaltet das Diktiergerät aus, schaut minutenlang in die Ferne. Er schaltet es wieder ein.


Liebling,

wie soll ich Schönheit genießen, wenn alles käuflich ist? Ich sehe die herrlichen, schneebedeckten Gipfel und frage mich, wie viel mag so ein Berg wert sein? Ein gutes Skigebiet mit Liftanlage ist heute noch wertvoller als die steile Nordwand. Aber kann die Nordwand nicht vielleicht morgen das Geschäft sein?
Ich baue einen Fahrstuhl in den Berg. Man klettert in Etagen, kauft zwischendurch im Höhlenkaufhaus ein, erfrischt sich. Was ich betrachte, verwandelt sich beinahe gleich in Gewinn. Vermarkten, prognostizieren und vermarkten. Ich kann nicht mehr mit anderen Augen sehen. Was machbar ist, ist schön. So. Jawohl! Stopp!

Er schaltet das Diktiergerät aus und springt auf.

Meiner Traumfrau gewidmet. In die archaische Bergwelt, in diese geologische Urgeschichte hinein getrieben unternehmerischer Tatendrang. Dafür allein hat sich beinahe der Aufstieg schon gelohnt. Darauf kommt man ja nicht im Büro, wenn man immer die abstrakte Malerei anstarrt, die einem wie automatisch gesichtslos in jedem Zimmer entgegen hängt.

Er schaut auf die Uhr.

So, Feierabend! Keiner ist mir nachgestiegen. Das ist glücklich. Nur allein kann man frei mit sich selber sprechen. Was ich noch alles leisten möchte! Das geht noch höher hinauf.

Er sucht seine Sachen zusammen, entdeckt eine halb leere Konservendose.

Schweinerei! Heute war schon vor mir einer hier. Schweinefleisch aus der Dose. Frisch gefroren, das hält sich. So eine Schweinerei!

Er schleudert die Dose den Abhang hinunter.

Wer soll das einsammeln? Ich trage anderen nicht ihren Abfall hinterher. Wie die letzten Menschen! Pork! Aus der Dose. Auf einem Gipfel von über viertausend Metern. schreit Ich bin nicht der Müllwirtschafter für andere Leute. Ich nicht. Wenn die ihren Scheiß in einer solchen Höhe hinterlassen. Wenn ich einen erwische, den stoße ich den Hang hinunter.
Ich gebe nicht den Unterdrückten. Ich lasse mich von dieser Firma nicht fertigmachen. Ich nicht. Bin ich etwa ein Animateur wie Heinz Böhner? Der redet irgendeinen Dreck daher und die Leute lachen. Ich habe die Klientel überzeugt, ich. Durch mein Sachwissen. Die legen doch nicht Hunderttausende an, weil einer Witze erzählt. Wer kann das denn nachvollziehen? Meine Korrespondenz hat die überzeugt. Schreibarbeit, aber die behaupten, es waren seine Witze.

Er ringt nach Luft, wickelt das Seil auf.

Jetzt ist Böhner weg. Abgeworben von der Konkurrenz. Verdient da das doppelte, heißt es. So nicht mit mir. Mich wollen die auf Böhner dressieren? Mich, der schon vorher Böhners Arbeit gemacht hat? Das ist eine Erniedrigung, das ist eine solche Erniedrigung. Ich soll dem Kasper nachkaspern? Kreativ hat der sich geschimpft, und Kreative brauchen ja Zeit und Raum und Platz für ihre fäulnisfaule Kreativität. Darauf hat der sich ausgeruht den ganzen Tag und ich konnte seine Arbeit erledigen. Attitüden hatte der sich angeeignet, unglaublich. Schickt den Chef zum Kaffeekochen. Macht sich in seiner Abwesenheit lustig. Und was passiert? Keine Rüge. Keine Geste. Kein Kommentar. Autoritätsverfall. Böhner hat von da an gar nicht mehr gearbeitet. Ich weiss es, ich. Er war ja das Genie, das großartige, obwohl es von da an bergab ging. Ein Bluffer. Ein richtiger Halunke. Der ins Gefängnis gehört. Der uns ruiniert hat, einen Scherbenhaufen hinterläßt. Und ich soll ihn imitieren? Ich werde ihnen einen liefern, einen Böhner. Einen dreifachen Böhner!

Er setzt sich erschöpft.

Luft, ich brauche Luft. Bin ich froh, dass der weg ist. Jetzt verseucht er eine andere Firma mit seinen Intrigen. Seine Misserfolge anderen unterzuschieben, darin war Böhner meisterlich. Stornierungen seinetwegen? Gab es nicht. Nein, die Nachbearbeitung hat mal wieder die Suppe versalzen, stolzierte er lauthals schimpfend am Chefzimmer vorbei zum Raucherzimmer. Ich musste mich rechtfertigen, ich, sofort zum Chef, denn kampflos gebe ich nicht auf. Aber wer sich rechtfertigt, hat Schuld. Das ist eine Logik, die grassiert in Chefetagen. Jetzt bin ich schuld, dass Böhner gegangen ist. Nicht die Firma, die ihn abgeworben hat, nein, ich habe mich mit Böhner nicht verstanden, ich habe Böhner das Leben zur Hölle gemacht, ich habe seine Abschlüsse verdorben, ich habe schlecht über ihn geredet. Jetzt soll ich das wieder richten, wie er Witze erzählen, mit hohlem Pathos Reden halten, Hände schütteln, Wangen küssen, pfui und was weiss ich noch. Aber ich habe die Erfolge gemacht, ich.
Böhner kam immer mindestens eine Stunde später als ich, mindestens. Und trotzdem war ich meistens der letzte abends. Wie soll da Böhner erfolgreicher gewesen sein als ich? Das hieße ja, Böhner ist ein Genie, und ich bin ein Trottel! Das hieße ja, Fleiß zahlt sich nicht aus, sondern Faulheit.

Er schaltet das Diktiergerät ein.

Verehrte Anwesende,

Sie kennen die Gerüchte, ich habe Böhners Stelle gewollt. Dagegen muss ich mich entschieden zur Wehr setzen. Diese Gerüchte wurden von Böhner selbst und von der Konkurrenz lanciert, die ihm jetzt mehr als das Doppelte seines Gehaltes zahlt. Damit sie, liebe Anwesende, ihm zur Konkurrenz folgen. Dafür zahlen sie ihm das höhere Gehalt. Nicht für seine Fähigkeiten, die in unserem Unternehmen sich als mäßig herausgestellt haben, nachdem wir die Bilanz seiner Tätigkeit nun öffentlich ziehen können. Böhner dient der Konkurrenz bloß als Köder. Und dass Böhner bereit ist, sich als Köder mißbrauchen zu lassen, das zeigt seinen Charakter. Wir schätzen uns froh, dass Böhner abgeworben wurde, denn er stand bei uns kurz vor seiner Entlassung, wegen gravierender Fehler. Davor wollten wir sie bewahren. Ich persönlich erwäge zur Zeit eine Anzeige gegen Böhner wegen Verleumdung und übler Nachrede. Nie habe ich Böhners Stelle gewollt. Ich war mit meiner Stelle zufrieden, nur dass ich mit Böhner zusammenarbeiten musste, hat mich gestört. Das ist die Wahrheit. Böhner ist ein erfolgreicher Lügner, das ist er. Meine Damen und Herren, Sie wissen selbst, dass er auch Sie betrogen hat, wenn Sie sich gefälligst an seine Versprechungen und Verheißungen tatsächlich erinnern. Haben sich seine Prognosen bewahrheitet? Nein. Betrachten Sie Ihr angelegtes Vermögen. Die Wahrheit musste ich Ihnen mitteilen, das war meine Aufgabe. An mich waren Ihre Beschwerdebriefe adressiert, an mich, obwohl Böhner zuviel versprochen hatte. Ich bin nicht fähig, andere Menschen zu belügen, und deshalb habe ich Böhners Stelle niemals gewollt. So. Jawohl. Stopp!

Er schaltet das Diktiergerät aus.

Luft, ich kann nicht mehr. Aber es ist das Beste, denen die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie es nicht gewohnt sind. Es muss einmal eine reine Luft werden, dass man wieder atmet!

Er schlägt einen Sicherungshaken in den Fels und bindet sich ans Seil.

Ab jetzt geht´s abwärts, nur noch bergab.

Er schultert seinen Rucksack und hängt sich prüfend ins Seil. Dann verschwindet er hinter einer Klippe. Aus dem Off:

Der Hang ist vereist. ruft Allen Göttern zu Ehren: den dreifachen Böhner!

Das Echo seines Rufens ertönt. Dann hört man seinen Schrei, der lange hallend die Zuschauer in die Pause begleitet.

Friday, October 28, 2005

MONODRAMA, Oxygen, Teil 2


Bild II

Gaya

Das Echo seines Schreis hallt fortwährend in den Bergen. Abenddämmerung. Kornbichler, in einer Felswand an einem schaukelnden Seil hängend, versucht vergeblich, sich hinauf zu ziehen.


Kornbichler: Keine Panik, es hat keinen Zweck. Ich kann nur hoffen, dass das Seil oben noch stark ist. Das ist das einzige, was ich noch hoffen kann. So, jetzt keine Panik.

Er schreit laut und langanhaltend.

Das musste raus. Die Angst muss raus. Und jetzt werde ich ganz ruhig. Und das Seil hört auf, an der Kante zu scheuern, weil ich ganz ruhig bin.

Das Echo seines Schreis.

Sonderbar, dass mich beinahe am Ende meines Daseins keine großen Gedanken bewegen. Auch zieht nicht in rasender Bilderfolge mein Leben an mir vorbei. Meine Gedanken sind beinahe banal, fast lächerlich. Die Bilanz begreife ich nicht. Also muss es wieder aufwärts gehen. Mahlzeit!
Eines der wenigen Seile, die einem sogenannten Kantensturz standhalten, sagte der Händler. Der gute Mann überredete mich zum Kauf. Wenn ein Kletterer mit einem Gewicht von fünfundachtzig Kilogramm an einem Stahlseil fünf Meter tief fällt, tritt eine Kraft von zweitausend Kilogramm auf, sagte er. Zum Glück hat die treue Seele mir das teuerste Seil mit dem niedrigsten Fangstoß und eine Dämpfungsplatte empfohlen.

Er bewegt sich in seinem Gurt, schwingt hin und her. Sofort hält er still, schaut misstrauisch hinauf.

Es gibt gute Händler, keine Schwindler wie Böhner, der einigen Klienten Risikofonds angedreht hat, mit denen sie abgestürzt sind. Au! Eine beruhigende Sicherheitsreserve, sagte er zum Abschied.
Ruft Hallo, Hallo, Hilfe, Hilfe!

Er lauscht, hört das Echo seines Rufens.

Warum bin wieder ich der Trottel? Habe genügend Probleme, es reicht! Immer ist der Urlaub zu Ende, bevor er angefangen hat. Ich habe keine Lust am Abenteuer. Das Edelweiß, die Höhenluft, der Ausblick, das können andere viel besser beurteilen.

Er tastet mit einer Hand hinter sich.

Den Rucksack hat es glatt weggerissen. Und die Kapuze. Gut, dass der mich vom Felsen abgefedert hat.

Er versucht zu sprechen. Es gelingt nur ein Krächzen. Nach einigen heiseren Versuchen findet er seine Stimme wieder.

Als ich an Böhner gedacht habe, lag ich gleich zerschmettert da unten. Weil Böhner mich bis auf den Grund gebohrt hat. Dieser Böhner muss endlich aus meinem Kopf. Ich bin nicht wegen Böhner hier. Ich bin Alpinist. In der Pension sagen sie Bescheid, wenn ein Tourist aus dem Berg nicht zurückkommt. Für die bin ich ein Tourist, der sich leichtsinnig in Gefahr begibt. Sich wieder spüren, sich erneuern, das Aggregat auftanken! Für die bin ich ein Geschäft. Negative Schlagzeilen können die sich nicht leisten. Eigentlich wollen die hier keinen Menschen sehen, keinen Böhner und auch andere nicht. Aber sie müssen sich arrangieren wegen der Ökonomie.
Ich will hier auch keinen sehen, wenigstens keinen aus der eigenen Stadt, möglichst auch keine Europäer. Einen Afrikaner im Kaftan läßt man sich überall gefallen, einen Indianer mit Federschmuck, oder buddhistische Mönche. Das sind Exoten, die kann man anstaunen, weil man die nicht täglich sieht. Die betrachtet man genauso wie die Bergziege oder das Hochwild.
Jedes Produkt muss einen exotischen Reiz besitzen, weil man das am weitesten Entfernte haben will. Wenn alles bekannt ist, ist man gezwungen, Grenzen zu überschreiten. Daran krankt die gesamte europäische Idee, weil bald alles eine Soße ist. Gut, dann wird eben Identität durch ein Produkt ersetzt.
Friede jedem Campingplatz! Welcher Ex-Holländer möchte zum Beispiel freiwillig neben Ex-Deutschen campieren? Welcher Ex-Belgier neben Ex-Franzosen? Das sind aber immerhin noch die harmlosen Beispiele, denn der europäische Garten als Geografie ist ja insgesamt größer als die Europäische Union. Ich kann mir während der jährlichen Stadtflucht auch einen exportierten Bürgerkrieg vorstellen. Autsch! Der Sportkletterer-Komplettgurt schneidet in den Körper, obwohl der Händler sagte, der anatomische Schnitt gewährleiste beste Druckverteilung. Bei gleichzeitig totaler Bewegungsfreiheit! Nur die Hosennaht scheuert an den Hoden. Teilt, was nicht geteilt sein will. So nicht. Stop!

Er versucht sich zurecht zu rücken, wodurch das Seil wieder zu schaukeln beginnt. Abrupt hört er damit auf.

Mahlzeit! Die Polsterung mit der angeblich hautfreundlichen Fleece-Innenseite ist ein Schmarren. Dieses Verkaufsgenie! Da ist der Gedanke an Böhner wieder, schleicht sich ein in einen Disput mit einem Händler für Bergsteigerausrüstung. So heimtückisch ist Böhner, dass er sich überall einmischt, wovon er keine Ahnung hat, aber ein Gesicht dabei macht, als hätte er ein Komplettwissen. Böhner verschwindet nur, wenn ich schnell und laut weiterdenke. Das macht Böhner keine Freude. Ja, wenn einmal seine Stimme überboten wird, sein häßlich lautes Organ. Der Ausrüstungsladen ist jetzt schon von Böhner verseucht, an den darf ich nicht mehr zurückdenken. Böhner liegt da fett in einem Biwak und wartet auf den ungünstigsten Moment, um zu erscheinen.

Kornbichler schweigt, schaut in den Himmel.

Ein Flugzeug. Zürich - New York. Höher als der Mount Everest. Da habe ich Angst. Hinein in die Höllenmaschine, hinauf zu den Göttern und hinunter ins Paradies. Ein gnädiger Gott gab den Menschen das Feuer, damit sie Maschinen erfinden, die sie direkt ins Paradies befördern.
So sternenklar wie dieser Himmel, friert´s über Nacht. Ich muss mal auf Toilette. Wächst ein kalter Zapfen mir im Hochgebirge.

Er nestelt an seiner Hose.

Der geschützte, und im Schritt durchgehende Bombay Fly, macht den `Gang hinter den Busch´ zum Kinderspiel, selbst dort, wo vor Kälte und Steilheit kein Gras mehr wächst. Das läßt sich jetzt kaum verschieben, ich werde beinahe wahnsinnig. In der Praxis sieht alles noch mal ganz anders aus, besonders in Verbindung mit einem Gurt, der einen kapitalen Sturz aufgefangen hat. Daran denkt so ein Händler nicht beim Verkauf. Ein Gauner, der minderwertige Billigware aus dem außereuropäischen Ausland importiert und sie als wertvoll und haltbar anpreist. Das ist ein grauenvoller Gedanke, dass vielleicht ein billiges Material verwendet worden ist, das ich teuer bezahlt habe. Um wie Böhners Klientel damit abzustürzen.

Es beginnt aus seinem Hosenbein herauszulaufen. Es wird Nacht.

Mahlzeit! Ich höre die Kollegen schon, wie sie über das Rumgehänge des Kornbichlers in der Wand lästern, oder sich über sein Gehänge auslassen. Zum Glück wissen die nicht, dass ich hier hänge. Also hänge ich hier nicht wirklich. Die Politik des leeren Stuhls haben schon ganz andere vorgemacht. Europa a la carte!
Zweimal wöchentlich ins Fitneßstudio. Kann mich aus jeder peinlichen Situation heraus stemmen. Regelmäßig einen Barren mehr aufgelegt. Mein Rücken ist bretthart. Knäcke. Im Büro nennen sie mich Kornknäcke. Weil ich immer gerade im Stuhl sitze. Ich weiß. Ich weiß, wer das erfunden hat.

Er schweigt protestheischend.

Sollen sie lachen. Ohne konditionelle Vorbereitung kann jeder Depp in der flachen Bergwelt herumkraxeln, aber in der höheren Bergwelt wäre es tödlich.

Er fröstelt.

Ihr Sterne da oben schickt eine erbarmungslose Kälte herunter. Von euch soll ich mein Schicksal kennen? Soll mein Unglück da oben seine Ursache haben? Ein Böhnerstern am Himmel. Ein schwarzes Loch, in das komplette Galaxien stürzen. Den Großen Wagen erkenne ich. Sieht aus wie ein alter Lumpensammlerkarren. Lese mein Horoskop beinahe täglich in der Zeitung. In dem Geglitzer erkenn ich´s nicht.
Ich fürchte, dass Böhner eine Art Prinzip ist. Vielleicht läßt sich Böhner aus der Welt nicht entfernen, weil gleich ein neuer an seine Stelle tritt.

Schweigen.

Ich befinde mich in einer Ausnahme. Das geregelte Leben halte ich auch beinahe nicht aus. Die Ausnahme birgt Vorteile, wenn man ungefähr weiss, wie sie ausgeht. Dann kann man über einen Ausnahmezustand beinahe lachen und sich an seiner Dauer erfreuen.

Er pfeift das Lied: “Froh zu sein bedarf es wenig ... .”

Froh sein möchte ich augenblicklich über die Ausnahme, die mich heimsucht. Böhner würde sich in meinem Fall sofort darin einrichten. Aber Böhner ist auch im Ausnahmezustand nicht greifbar, weil er bei seiner Lebensführung mit einer Ausnahme immer rechnet. Ich bin sicher, wenn ich Böhners Charakterlosigkeit einmal verstanden habe, dass mich dann nichts mehr überrascht. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, um ihn endlich loszuwerden. Wenn Böhner ein Prinzip ist, dann gibt es so viele charakterlose Menschen, dass mein Böhner in der Böhnermasse untergeht und darin für immer verschwindet. Wer vollkommen flexibel ist, löst sich vielleicht irgendwann in Luft auf. Platzt wie ein Luftballon.

Er kramt in einer Brusttasche seines Parkas.

Das ist schon komisch, dass ich mich in diesem Moment der Erkenntnis an den Schokoriegel in der Paniktasche meines Parkas erinnere. Die meisten halten sowas gar nicht aus. Wieviele leben allein in ständiger Angst vor einer Ausnahme, die sie potentiell heimsucht. Denen würde in meiner Lage gleich die Luft ausgehen. So richtig sehe ich sie vor mir, die phlegmatischen Dauersitzer. Schwammwesen, die aufsaugen und ausschwitzen. Dass sie sich an ihrem Schreibtisch parfümieren müssen, damit sie nicht stinken. Mahlzeit! Ranzige Membranexistenzen. Ich habe durch mein Training ein vermindertes Schwitzen erzielt. Ich sondere kaum noch übelriechende Sekrete ab. Dafür leide ich verstärkt an den Absonderungen derjenigen, die mit ihrer Sekretion weniger gezielt umgehen. Die meisten glauben, dass sie mit herkömmlichen Hygieneartikeln ausreichend bedient sind. Allein diese Diversität beeinflusst nachhaltig das Raumklima einer jeden Bürogemeinschaft. Yes. Stop!

Er stellt fest, dass er kein Diktiergerät in der Hand hält. Sucht vergeblich in seinen Taschen.

Das sind unerklärliche Ausfallerscheinungen, die ich wie nichts an mir hasse. Da möchte ich die Arbeit sofort hinschmeißen und nichts mehr, aber auch gar nichts mehr jemals damit zu tun haben. Das wirft mich gegenüber Böhner beinahe meilenweit zurück. Weil ich mich im Gegensatz zu Böhner für meine Fehler selbst verantwortlich fühle. Jawohl, denn ich besitze einen Charakter. Aber warum Böhner im Gegensatz zu mir keinen besitzt, muss ich herausfinden, wenn ich Böhner als Prinzip begreifen möchte.
Sicher ist, er hat nichts zu sagen, weil er alles nur kommentiert. Möglichst zynisch, mit einem flachen Humor. Sein flexibles Standardlachen für alle Fälle. Mahlzeit!

Er ahmt Lachen in verschiedenen Variationen nach.

Falls er zu einer Gelegenheit seinen geselligen Humor vorweisen muss. Dann flattern seine Zwerchfellmuskeln. Da besitzt er eine trainierte Atemtechnik, die ihn in den Stand versetzt, andere Atmungen auf seine hin zu synchronisieren und einen Lachreiz damit beinahe föderal zu übertragen. Die damit einhergehenden Erschütterungen wirken scheinbar befreiend, weil sich vielleicht nebenbei bei den Lautlachern einige Verkrampfungen lösen, obwohl keiner, und das ist wiederum eine weitere Erkenntnis über Böhner, obwohl keiner dabei wirklich tief durchatmet. Diese Gesellschaft lebt nur im oberen Brustbereich. Es mag sogar daher rühren, dass beim Lachen die Brüste gegebenenfalls vereinzelt anwesender Damen dermaßen erschüttert werden, dass sie auf und nieder beben, so dass insofern ein erotischer Reiz zum Reiz des Lachens an sich hinzustößt. So. Fertig. Stop!

Er sucht mit abwesendem Gesichtsausdruck sein Diktiergerät.

Solche Mitlacher sind beinahe sicher keine Bergsteiger. Weil sie so flach geatmet gar nicht den Berg hinauf kommen. Es mag sogar sein, dass man sie in bestimmten Urlaubsgebieten gehäuft antrifft, wo sie in konzentrischen Lachkreisen beieinander hocken und sich gebärden, wie sie es von zu Hause nicht gewöhnt sind. Wenn Böhner ein Massenphänomen ist, dann tritt er in bestimmten Badeorten auf. Ich meinerseits habe mich schon beinahe immer vor dem Sog umworbener Massenveranstaltungen bewahrt. Andersherum hat mir eine Häufung von Böhner in Badeorten jedes Verlangen nach einem Bad dort so verleidet, dass ich indirekt gezwungen bin, meinerseits in den Bergen zu kraxeln. Mit anderen Worten: Böhner verleidet mir nicht nur den Aufenthalt in gängigen Badeorten, er zwingt mich sogar, in den Bergen immer gefährlichere Routen zu wählen, um auch dort der Präsenz möglicher Stellvertreter zu entkommen. Ich nenne sie der Einfachheit halber vorläufig Bergböhner.

Er stellt fest, dass das Diktiergerät fehlt.

Das ist eine Riesensauerei!

Schweigen.

Wenn ein Markt zusammenbricht, muss eben gleich ein neuer erschlossen werden. Man verliebt sich nicht in einen Binnenmarkt. So rede ich in schwierigen Zeiten, und das gilt auch für sofort. Aus mit dem Jammern, fertig!

Schweigen.

Es ist erholsam, Menschen auszuweichen. Sich nicht allein zu fühlen, scheint etwas furchtbar Anstrengendes, ein sich ständig anfassen müssen zum Beispiel ... Mit den meisten möchte ich nicht verliebt sein. Mahlzeit!

Ein Handy klingelt in seiner Parkatasche. Kornbichler reagiert nicht.

Morgen wird die Bergwacht alarmiert, Hubschrauber, Suchtrupps, Bernhardiner Hunde. Wer mich findet bekommt eine Erfolgsprämie, von mir gestiftet, damit kann er anfangen, was er will. Entweder eine Gemeinschaft gründen, oder sich ganz allein einen auf die Lampe gießen. Mir ist es egal, ob die Leute sich in irgendwelchen nationalen Bergvereinen wohlfühlen, weil sie nicht allein sein können. Für die ist das doch ein Abenteuer, wenn es heißt: Ausschwärmen, ein Tourist wird vermißt. Unterwegs schimpfen sie auf den Leichtsinn der Touristen, das trifft auf mich schon mal nicht zu, das werden sie allein an meiner Ausrüstung schon erkennen. Bin doch kein Prä-Alpinist.

Das Handy hört auf zu klingeln. Nach einer kurzen Pause klingelt es erneut.

Ich sehe sie beinahe vor mir, gebräunte Gesichter, Schneebrillen, so zwischen dreißig und fünfzig, in irgendeiner Bergwächterkluft, multifunktional hierum- und darum gegürtet. Taschen vorne, Taschen hinten und seitlich, auf den Köpfen Helme oder Pudelmützen, die ganze Palette beinahe wie vom technischen Hilfswerk, nur spezialisierter. Überall Schnallen, an denen sie sich akrobatisch vorne, hinten und seitlich festschnallen können, so ähnlich wie Feuerwehrleute, die geschwind eine Leiter hinauf und hinunter flitzen können, was zwischendurch schon mal übungsmäßig als Wettkampfsport ausartet. Jedenfalls diese Sorte wird morgen hier erscheinen. Mal sehen, wie ich sie begrüße.

Er versucht, seine Lage bequemer zu gestalten, zieht sich ein Stück am Seil hoch und entspannt das Gesäß. Das Handy hört auf zu klingeln.

Grüß Gott, wie ist das Wetter da unten? Nein, ich darf ihre Kulturhoheit nicht verletzen. Sonst verlangen sie die Kosten für den Einsatz. Ich bin unschuldig in diese Notlage geraten und als Mitglied der Europäischen Union verdiene ich das Mitleid und die solidarische Hilfe der Nettozahler. Wenn sie den Berg herauf geschwitzt kommen, hänge ich erbarmungswürdig beiläufig hier herum, bereit für meine Rettung. Ich werde mich bemühen, den Thermoeffekt meiner Kleidung zu ignorieren. ruft laut Ich friere!

Er lauscht dem hallenden Echo nach.

Leider kann ich ihnen nicht das klassisch halb erfrorene Bergopfer bieten. Mein Parka besitzt eine Außenschicht aus Mini-Ripstop Nylon, die berühmte neue HzweiNO-Storm-HB-Barriere, mit einem wasserdichten, winddichten, hochatmungsaktiven Gere-Technologies-Laminat, und ein Futter aus Polyestertrikot, insgesamt dreilagig. Bis minus fünfzehn mache ich es spielend. Mehr wird es heute Nacht nicht geben. Eine laue Sommernacht. Ich werde einen bestimmten Gedanken nicht los. An manche Dinge soll man nicht denken, sonst treten sie ein, wenn man nicht austreten kann.

Er rutscht an dem Seil herunter. Das Handy klingelt erneut. Er nimmt es aus seiner Parkatasche und wirft es gegen den Felsen, dass es zerschmettert.

So nicht! Soll er zur Geschäftszeit anrufen. Ich bin privat für Böhner nicht zu sprechen. Dass Böhner sich möglicherweise doch von der Böhnermasse abhebt, weil er schon beinahe fast darin verschwunden war und trotzdem einen Dreh findet, wieder aufzutauchen, macht ihn noch gefährlicher. Böhner ist ein Verwandlungskünstler. Seine magischen Fähigkeiten nutzt er niemals zum Guten, denn es genügt ihm nicht, wie ein Illusionist etwa, sein Publikum zu unterhalten. Er dringt tiefer in sie ein, zieht sie in seinen Bann, um sie von sich abhängig zu machen. Erst wenn er das geschafft hat, fühlt Böhner sich sicher. Ja, ich erinnere mich an gewisse Kleinanleger, die sich nach ihren hohen Verlusten besorgt nach Böhner erkundigten. Sie hatten nicht etwa vor, ihn für ihre Verluste aus seinem Anzug zu prügeln, nein, sie wollten ihm vielmehr ihre letzten Ersparnisse anvertrauen, damit er sie vollends ruiniere. Das lehnte Böhner jedoch ab. Nicht etwa aus Menschlichkeit, sondern weil er sie nicht völlig mittellos auf dem Hals haben wollte. Vor Armut hat Böhner sich immer gefürchtet. Er nannte diese Kleinanleger einmal seine Gespenster, die ihn verfolgen. Mit denen ist er nach Verlusten brutal umgesprungen, so als sei ihr Geld daran schuld, dass der Kurs ins Bodenlose gefallen war. Niemand hat sich jemals gegen Böhner gewehrt. Die Verlierer sahen ihn als Handlanger ihres Schicksals, und die Gewinner zahlten ohne Umstände die überhöhten Prämien. Ich glaube sogar, dass einige süchtig nach Böhner geworden sind. Wenn er lächelte, wähnten sie sich beinahe gleich in paradiesischem Reichtum, wenn er grollte, zitterten sie ehrfurchtsvoll um ihr Vermögen. Mahlzeit!

Er denkt nach.

Diese Bergpatrouille ist eine karitative Einrichtung, ein Strukturfond. Fühlen sich moralisch erhöht, weil sie andere kohäsionieren.
Nächstes Thema. Wie eine Akte, die auf den Schreibtisch kommt. Was haben wir denn da? Die meisten Anschreiben sind teuer entwertetes Briefpapier. Taste neun, Standardantwortschreiben, Adresse einfügen, Klick, Drucken, Unterschrift, fertig. Ab in die Post. Weil ein Beruf gemacht sein will.

Er beißt von einem Schokoriegel ab.

Mmh! Mir geht´s hervorragend. Ich vertraue der Technik, ich vertraue den Ausrüstungen, um in jeder Lage zu überleben.

Er verspeist einen weiteren Schokoriegel.

Hallo Liebling,
bin gerade abgestürzt, hänge in einer steilen Wand. Du bist doch nicht eifersüchtig, oder? Das ist geil. Meine Ex anrufen, Sybille, die sich vor schwarzen Käfern fürchtet, weil die sie an Verwesung erinnern. Hallo, ich habe gerade echte Todesangst, wahnsinniger Adrenalinstoß, totaler Orgasmus. Die liebt mich immer noch, ich weiss es. Ich habe sie verlassen, weil sie behauptet hat, das mit Böhner sei Spinnerei. Eine fixe Idee von mir. Konnte sie das beurteilen?

Er schaukelt etwas hin und her. Dann schwindet sein Übermut, er hält wieder still.

Liebe Anleger und Kleinanleger!

beinahe selten ist es einem gegönnt, so tief in die Mechanismen der Zusammenhänge einzudringen, dass man sicher sein kann, diese von Grund auf zu verstehen. Ich kann mich nun glücklich schätzen, dass mir diese Seltenheit nicht vergönnt ist. Böhner ist ein durch und durch ängstlicher Mensch. Seine Angst vor dem Tod lebt er dadurch aus, dass er häufig andere sterben läßt. Wie in unserer Branche üblich, nicht wirklich, sondern finanziell. Dennoch leiden seine Opfer tatsächlich unter seiner Ängstlichkeit. Denn Böhner riskiert nichts. Aber wer in diesem außerordentlich harten Geschäft ängstlich oder feige ist, der sollte erst gar nicht antreten. Sie haben diesen Mut, denn sie suchen das finanzielle Risiko mit der Hoffnung auf hohen Gewinn. Klettern Sie etwa mit dem Dax?
Böhner kann vielleicht Mißtrauen in Vertrauen verwandeln. Aber da enden auch schon seine Fähigkeiten. Ihr Vermögen überläßt er dem Zufall. Und der ist auf der Seite der Mutigen. Ja. Bravo. Stop!

Er schaukelt absichtlich das Seil.

Das ist der entscheidende Schlag gegen Böhner. Böhner neigt zu Badeorten, nicht zur gefährlichen Bergtour. Das muss verbreitet werden, und der Mann ist erledigt. Böhner hat von nun an beinahe seine gesamte Biographie gegen sich. Er wird sich rechtfertigen müssen, nicht ich.

Er klettert an dem Seil hinauf, langsam, stumm. Er schafft es fast, aber seine Kraft reicht nicht. Langsam rutscht er wieder herunter.

Lohnt die Mühe nicht. Non vale la pena, sagt der Spanier, und geht zum Stierkampf. Ja, da ist das alltäglich, das Risiko-Rumoren im Bauch. Solange geht das Spiel, bis die Tierschützer kommen und Tränen vergießen über das grausame Ende der Stiere.

Er friert.

Zieht ein magerer Mond vorbei, möchte nicht schuld sein an dem Tänzchen. So ein jämmerlicher Trabant! Nicht ein kosmischer Wurm fühlt sich da oben wohl, kein Gott und kein Käfer. Jeder Gully ist besiedelt, da oben nichts als Staub und Krater. Verscheucht die Sterne mit geliehenem Licht, wenn er voll ist. Jetzt bläht er sich zu einer Sichel, wie so´n oller Jollensegler auf dem Bodden. Ich wünsch mich in mein Bett und eine Decke drüber. Meinetwegen könnt ihr kommen, ihr Bergwächter in euren Rettungskostümen, ich bin bereit. Hallo! Wenn ihr nicht gleich erscheint und mich hier losmacht, bin ich beleidigt. Dann gibt´s eine Beschwerde bei der Kurverwaltung. Lebt sich doch nicht schlecht von der Kurtaxe, oder? Einsame Gipfel, unberührte Natur. Hochglanzprospekte laßt ihr drucken, dagegen sind Lügen ...
Jetzt winselt ihr weinselig im Trachtenrock Heimatabende für Touristen, verramscht die letzten Aktien eurer Herkunft. Anbiedern müsst ihr euch mit Haut und Haar, weil vom Berg ein Käse rollt, der euch nicht fett macht. Mahlzeit!

Er summt jämmerlich: “Froh zu sein bedarf es wenig ... .

Ich werde hier solange hängen, bis ich einen Ausweg gefunden habe, der nicht zurück in die Ausweglosigkeit meines Lebens führt. Das ist der Sinn meines Herumhängens. Ich verspüre manchmal doch eine Neigung zum Badeort.

Er macht gymnastische Übungen, um sich aufzuwärmen.

Da ist ein Seil von oben, das mich hält. Soll bis in den Himmel reichen, Böhner die Totenglocke läuten! Ich liebe das Leben, mir geht es gut.

Er trinkt die Schnapsflasche leer.

Es gibt immer Wege, es gibt noch mehr Ideen, es gibt eine Klarheit, Entschlüsse zu fassen und danach zu handeln. Erweiterung und Vertiefung, verdammt noch mal! Ausgerechnet jetzt juckt es mich in den Beinen, beinahe fast physisch, es juckt mich, mein Leben sofort so zu gestalten, dass ich vor meinen eigenen Ansprüchen bestehe. Au, meine Leber zwickt. Wahnsinn, in welche Kreise man gerät, weil man gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe Lust loszurennen, die verlorene Zeit aufzuholen. Zurück zum Anfang, hurra! Au, meine Leber revoltiert!

Er verzieht das Gesicht, schaukelt dann zur Beruhigung summend am Seil.

Das Wichtigste im Leben ist Sex. Einen Körper dazu, wie nur Bergsteiger ihn haben. Es ist kein Geheimnis, deshalb ist Bergsteigen so beliebt. Alle wollen hinauf, den Berg besteigen wie eine Frau. Die Berge. Die Monogamie ist der natürliche Feind des Alpinisten. Hier weht ein frischer Wind. Da möchte man anfassen oder sich berühren lassen, bei sauberem Sauerstoff in der Lunge. Hier oben bin ich fähig zur freien Liebe, weil mein Gemüt sich über den Alltag erhebt. Ich kriege Lust, ich kriege Lust. Stop! Kein Thema jetzt.

Er hört auf zu schaukeln.

Dieser klare Nachthimmel weitet mein Hirn und füllt es mit Gedanken. Mechanisch bewegt sich alles, wenn man hinsieht, kreist und jagt und schleudert es, und ist doch ganz und gar gefangen, so wie ich.
Dass dieses unermeßlich Große hält und doch zu nichts taugt, als nur zum Anschauen. Welch schwacher Abglanz streift meine Augen von den großen Feuern, die wie Funken Erdenmassen in Sekunden spucken und verglühen lassen.

Schweigen.

Ja, ich hörte Böhner einmal laut und einsam stöhnen. Erbärmlich, sich in der Sauberkeit des Büroambientes animalisch zu empfinden. Die Tür war angelehnt. Ich konnte nicht mal lachen. Mahlzeit!

Schweigen.

So still hier? Bloß ein Lüftchen, ein Geist! Leben, mehr nicht.

Er lacht ein erbärmliches Lachen.

Eher spüren sie durch Satelliten einen Munitionsbunker auf, als Menschen in Not. So sehen Prioritäten aus. Soll ein Chor dabei `Freude schöner Götterfunken´ intonieren?

Ein Wolkennebel verhüllt ihn bis zum Kopf. Er pfeift die Europa-Hymne.

Der Nebel kriecht mir unter´s Rip-Stop-Nylon. Fühl mich als Büste, bronzemetallisch kalt.
Dieser Planet wirft seine Wetter auf mich wie auf einen Stein. Muss in meinem Schädel Feuer halten, weiter ...

Er versucht mit einem Taschentuch seinen Kopf zu bedecken.

Es gibt Menschen, die frieren nicht. Ich friere ist ein Wert, den Rezeptoren an eine Schaltzentrale leiten, die diesen Wert mit Erfahrungen vergleicht. Mein Verstand bestimmt die Gradzahl. Es ist kühl, doch angenehm. Auf Dauer riskier ich einen Schnupfen.

Er verharrt einen Augenblick stumm, dann zieht er ein Messer aus der Tasche, betrachtet es schweigend.

Ha, da beschleunigt gleich der Puls, steigt Blut ins Hirn. Kaum an diese Grenze gedacht, setzt mein Körper neue Kräfte frei. Den Widerstand bricht nur ein kaltes Denken. Verwandle mich zurück in eine Primitivmaschine. Ein Insekt, das sich am Faden aushängt.

Schweigen.

Wach bleiben, immer wach bleiben! Resignation ist der Untergang des Abendlandes. Die hat schon mächtige Unternehmen in ihren Strudel gezogen.
Meine Uhr. Sie läuft. Weiter. Sie hat einen Wecker. Wenn´s klingelt, heißt es aufstehen! Auf dem langen Faden Zeit nur eine kurze Strecke bis zum Morgen.

Er schneidet ein Stück Stoff aus seinem Parka. Wickelt es sich um den Kopf. Der Wolkennebel hüllt ihn ein. In den Sternenhimmel schiebt sich ein Wolkenkeil.
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Thursday, October 27, 2005

MONODRAMA: Oxygen, Teil 3

III. Bild


Epimetheus

Die Wolkennebel verwirbeln. Kornbichlers Gestalt ist vereist.

Dass nicht Katastrophen vielmehr
Verseuchte Landschaften gestalten
Dass so viel funktioniert!
Darauf lässt sich aufbauen.
Dass eine geheime Kraft alles
Letztendlich zum Guten schafft!
Dass wir an eine Kugel
Gefesselt sind auf
Nur einem Planeten leben!
Wie eine Pflanze Samen
In den Wind schießt
Raketen ins Weltall!
Wie wir sie atmen
Luft auf dem Mars!

Er verstummt.

Rote Kinderaugen
Schauen einen
Sternenhimmel der
Hinauf schluckt.
Zeus, sieh dich vor!
Challenger-Airbus gepflügt
Den Himmelsacker!

Lacht ausufernd.

Gefriergetrocknet
Mein Schädel
Das muss der Wind sein
Denn Gletscher schmelzen.
Beinahe kein Betrug mehr
An unserer Natur
Verwirklichung Laufrad!
Gesichter wie aus
Tiefschlafträumen
Millimeterweise
Durch diese Nacht
Die ihre Zeit dehnt
Wie ein Leben.

Aus der Ferne tönt eine alte Tanzmusik herüber.

Vom Dorf ziehen sie herauf
Zum Almfest!
Wie eine Mücke
Die Blut saugt
Zur Hütte!
Mir scheint sie spielen
Instrumente.
Tragen eine Herrscher-Büste
Zum Gipfel
Wie die von Stalin
Im Kaukasus

Die Musik bricht ab.

Sie sind verschwunden
In solcher Wattewelt
Kein Laut mehr
Kein Echo ihres Daseins
Decompression, please
Take your oxygen-mask!

Es schneit stärker.

Verantwortungsloses Tiefschnee
Nachtgestocher einer Herde
Euphorisierter Blindläufer!
Dem Bergführer hinterdrein
Dem Dorfdepp
Dem österreichischen!
Ich spüre meine Nase nicht
Hatte ich jemals eine Nase?
Eine echte Küchenweisheit
Die dorrt in ihrem Rahmen.
Musst in dieser Nacht noch
Einen neuen Gletscher frieren
Großer Froster meinen
Aus Not gezimmerten Glauben
Gleich zerschmettern
Spuckte mit abscheulich
Abergläubischer Rede
Mir Hoffnung
In meinen Schicksalstopf
Den du da oben mißachtest
Wie Reiche einen Bettlerhut
Werde mich daran erinnern
Werde mir vertrauen
Dass ich nach menschlichem
Ermessen Herr über mich bin.
Such dir einen Pfand aus
Gleichgültiger Menschenfresser
Ich löse ihn ein mit Zinsen
Sobald die Wetter besser sind
Am Beamtenschalter deiner Ordnung
Lachst mich aus?
Wer mächtig ist lacht leicht.
Ich lache auch!

Er lacht und sein Lachen hallt wieder.

Ich friere nicht.
Mich wärmt ein Feuer
Nicht verborgene Macht

Schweigen.


Eine Stille steht hier
Lauernd wie ein Raubtier
Seine Muskeln anspannt
Vor dem Sprung
Nicht feierlich
Und nichts an ihr wirkt heilig
Tägliche Sterbensübung
Ist Einschlafen sanft
Ganz ohne Furcht
Was mir die Offenheit
Des Himmels abringt!
Ist lediglich ein Dialog
Nimm es gelassen Gott
Wollte nicht hinaus.
War nur gezeugt
Eine lange Lebensreise
Das Wort ist mir geblieben
Hinaus!
So bin ich hier

Geräusch von Wind.

Wie spät ist es? Alter
Heliumreaktor
Lässt auf dich warten
Reiss Lawinen los
Lass Polkappen schmelzen
Seif´ alle ein, ersäuf´ sie!
Weil Schafe natürlich
In ihre Wolle wachsen
Sollen sie dort sicher sein?

Schweigen.

Vom Himmel schweb´ ich ein
Im Nachtanflug und seh´
In Meilern Höllenfeuer
Davon das Lichterspiel
In Türmen und
Rot-weiß durch Adern
Mit einem Ziel wohl
Gewiß mit einem Drang
Die unbekannte Weisung
Die nicht erkennbar ist
Von oben

Lachen.

Das wächst, ein Krebsgeschwür
Licht glitzert an Licht
Funkelnd in Nächten
Wunderwerk Feuer
In Menschenhand
Die Waffe Paradies
Ein kaltes Lichterspiel
Europas Tagesanbruch
Mahnt mordend sich
Der Verbrechen
Gegenseitig
Erhoffe nichts mehr
Als eine kleine
Erdendrehung.

Musik und Stimmen erklingen in der Nähe.

Hierher! Nachtblinde
Sucht mich im Berg?
Schatten ohne Schlaf
Willkommen!
Mondgesellschaft
Tote die lebend
Sich glauben

Stimmen und Musik entfernen sich.

Hierher!

Stille.

Ihr zieht vorbei?
Dem Totenzug
Schließ ich mich
Nicht an
Wie? Was brüllt ihr?
Vereist sind meine Ohren
Also müsst ihr brüllen
Ach, ein Sturm nur
Der sich in diesen Eishang bohrt
Ihr Wolkenfetzenschatten

Musik und Stimmen.

Hierher!
Nur Lebensmüde
Meiden jeden Abgrund
Schaut!

Das tosende Geräusch einer Lawine, die sich nähert.

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